Fragen - und unsere Antworten darauf

Hier beantworten wir Fragen zur Schweizer Migrationsgeschichte und zum Unterricht in diesem Themenfeld.

«Mohrenkopf» - was steckt hinter dem Streit?

Seit einiger Zeit wird öffentlich darüber gestritten, ob der Begriff «Mohrenkopf» für eine Süssspeise oder als Inschrift auf mittelalterlichen Häusern noch verwendbar sei. Wir denken: Geniessen Sie lieber einen Schokokuss, und wenn Sie in einem Restaurant «Zum Mohren» einkehren, dann bedenken Sie die Geschichte des Begriffs.

Der Begriff des «Mohren» hat im Laufe der Zeit verschiedene und nicht immer klare Bedeutungen gehabt. Im Mittelalter finden wir hierzulande Häuserbezeichnungen «Zum Mohren», «Zum Mohrenkopf» und Ähnliches, auch waren Köpfe von Schwarzen in Familienwappen anzutreffen, und bis heute gibt es davon abgeleitete Gemeindewappen. Einige dieser Darstellungen dürften sich auf den heiligen Mauritius beziehen - der Legende nach war Mauritius ein römischer Heeresführer aus dem oberägyptischen Theben, der wegen seines Bekenntnisses zum Christentum von den Römern verfolgt und getötet wurde. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts wurde der Ägypter Mauritius oft als Schwarzer dargestellt. Allerdings werden Heilige immer mit ihren Attributen kenntlich gemacht, und im Falle von Mauritius sind dies die Rüstung und das Schwert.

Die Gasthäuser «Zum Mohren» beziehen sich oft auf einen der drei Heiligen Könige, der seit dem 14. Jahrhundert manchmal als Schwarzer dargestellt wird. Er steht an Jesu Krippe als Symbol für den Erdteil Afrika, während die anderen beiden Könige für Europa und Asien standen - womit der ganze damals bekannte Erdkreis sich vor dem Kind verneigte. Auch die Heiligen Drei Könige sind mit ihren Attributen dargestellt, nämlich den Gefässen für die Geschenke, die sie dem Jesuskind überreichten: Weihrauch, Myrrhe (ein Balsam oder Salböl) und Gold.

Das Gegenteil von heilig ist die dritte Wurzel des «Mohrenkopfs». Wappen mit dem Kopf eines Afrikaners konnten im Mittelalter auf die Teilnahme an einem Kreuzzug verweisen. Die nordafrikanischen Berber wurden von den Römern als Mauren bezeichnet. Deren Reich erstreckte sich bis nach Spanien, von wo sie im Verlauf des Mittelalters von christlichen Herrschern gewaltsam vertrieben wurden. In einer der Schlachten gegen die Mauren soll der Heilige Jakobus plötzlich auf einem Schimmel aufgetaucht sein und mit seinem Schwert den Mauren die Köpfe abgeschlagen haben. Seither gilt der spanische Nationalheilige Santiago als «matamoros», also «Maurentöter». Abgeschlagene «Mohrenköpfe» wurden später von christlichen Rittern als Trophäen vorgezeigt. Auch die aus dem Morgenland zurückgekehrten Kreuzritter, die dort zum Teil schreckliche Massaker an der maurischen Zivilbevölkerung angerichtet hatten, schmückten sich stolz mit dem «Mohrenkopf» - sei es auf ihrem Wappen oder als Inschrift auf Ihrem Haus. Diesen Darstellungen fehlen natürlich die Attribute der Heiligen, sie wurden jedoch zum Teil mit Ohrringen oder anderen Accessoires exotisiert.

Der «Mohrenkopf» als Bezeichnung für eine mit Schokolade überzogene Süssspeise dürfte dann eher eine Erfindung des Kolonialismus sein. Die Süssspeise wurde Ende des 19. Jahrhunderts erfunden. Der Schokoladeüberzug kam aus den Kolonien, deren Bewohner in der Sicht der europäischen Kolonialherren minderwertig und unzivilisiert waren. Dieser süsse «Mohrenkopf» ist also eher mit der Trophäe der Kreuzritter verwandt als mit einem Heiligen.

Der Begriff «Mohr» kann also durchaus ehrenhaft an den heiligen Mauritius oder an einen der Heiligen Drei Könige erinnern. Heute jedoch klebt der Schatten einer verächtlichen oder gar feindseligen Bezeichnung für Afrikaner unübersehbar daran. Wir empfehlen deshalb, den Begriff in die Rumpelkammer der Geschichte zu entsorgen!

Kulturelle Aneignung: Wie mit dem Problem umgehen?

Kulturelle Aneignung (cultural appropriation) ist die unangemessene Aneignung von kulturellen Errungenschaften einer Gesellschaft (Musik, Mode, Bildsprache, Theater usw.) durch Angehörige eines anderen, typischerweise als dominant empfundenen Volkes. Oder etwas deutlicher: Kulturelle Aneignung heisst, dass Vertreter einer dominanten Mehrheit ungefragt Dinge für sich in Anspruch nehmen, die zur Kultur von (einst) unterdrückten Gruppen gehören.

Es geht also nicht um die Forderung, dass nur noch waschechte Österreicher:innen Mozart spielen dürfen, denn diese gehören zu der als dominant empfundenen Kultur der Weissen. Es geht aber zum Beispiel um die Frage, ob wohlsituierte weisse Europäer oder Amerikanerinnen sich mit Dreadlocks schmücken und Reggae-Musik spielen sollen. Reggae steht auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit, weil es eine «Schlüsselrolle im Leben der gesamten jamaikanischen Gesellschaft» sowie insbesondere bei der Gemeinschaft der Rastafari spielt. Rastafari ist eine christlich geprägte Subkultur und Glaubensrichtung, welche auf die Befreiung der Schwarzen hinwirkt.

Wenn also ein Angehöriger einer einst kolonialisierten oder versklavten Gesellschaft es störend findet, dass ein Weisser ihn in seinem Leiden und seinem Kampf für Freiheit und Anerkennung gewissermassen nachäfft, dann sollten Europäer:innen, so denken wir, für diesen mindestens etwas Verständnis aufbringen. Und wenn die Nachahmung ausbeuterisch ist, soll sie gestoppt werden oder sollen allenfalls die Urheber an den kommerziellen Gewinnen, die durch diesen Kulturdiebstahl entstehen, beteiligt werden.

Andererseits wird zurecht darauf hingewiesen, dass jede Kultur von Austausch lebt und sich entwickelt, und dass es wenig sinnvoll wäre, einzelne Kulturen zu ethnisieren und auf den schlichten Ausdruck einer «indigenen Identität» zu reduzieren und dort einzufrieren. Um beim Reggae-Beispiel zu bleiben: Auch diese Musikrichtung entwickelte sich aus unzähligen kulturellen Einflüssen, sie verbindet sich auch in ihrem Ursprungsland mit der weltweiten Pop-Kultur, wird kommerzialisiert und entsprechend entpolitisiert und entwickelt sich weiter - unabhängig vom Kampf gegen die Unterdrückung der Schwarzen.

Aus dieser Sicht kann und darf das Problem der unrechtmässigen kulturellen Aneignung nicht dazu führen, dass man von fremden Kulturen keine Impulse mehr aufnehmen sollte. Vielmehr wäre es für alle Beteiligten sinnvoller, die bestehenden und historischen Machtgefälle zu reflektieren, den Dialog zu suchen und respektvoll, verantwortungsbewusst und fröhlich zu appropriieren.

Empfohlene Lektüre, welche die im letzten Abschnitt erläuterte Haltung vertieft: Jens Balzer, «Ethik der Appropriation», Matthes & Seitz, Berlin 2022.