1915-1945: Die grosse Rückkehr und plötzliche Angst vor «Überfremdung»

Im Verlauf des ersten Weltkrieges verlassen viele Ausländerinnen und Ausländer die Schweiz. Gleichzeitig wird erstmals eine angebliche «Überfremdung» beklagt. Und die Schweiz richtet eine «Fremdenpolizei» ein.

1915: Die Schweiz vom Weltkrieg umtobt

Die Schweiz bleibt während des Ersten Weltkrieges von militärischen Angriffen verschont. Trotzdem ist sie von der Dauer und der Nähe des Krieges betroffen. Viele Leute verlieren ihre Arbeit. Das Bild zeigt die vom Krieg umtobte Schweiz als Insel. Der Text dazu verweist auf die Neutralität der Schweiz:

Gleich einer Insel im wogenden Meere
liegt friedlich die Schweiz, vom Kriege umtobt.
Dass keiner der Staaten mit Krieg sie verheere,
Haben mit Ehrenwort alle gelobt. 

Quelle: Postkarte von 1916, Bernisches Historisches Museum

1916: Nur noch wenige Güter aus dem Ausland durchqueren den Gotthard

Das Bild zeigt einen Bähnler (Bahnbeamten), welcher das Portal des Gotthardtunnels in Göschenen bewacht. Der Handel mit Gütern über die Grenzen der Nachbarländer ist während des Krieges kaum noch möglich. Deshalb leiden grosse Teile der Schweizer Wirtschaft und somit der Bevölkerung an den Auswirkungen des Krieges. 

Quelle: Sammlung Carl Waldis, Altdorf

1917: Das Misstrauen wächst: Die Schweiz erhält eine Fremdenpolizei

Gegen Ende des ersten Weltkrieges wird in Bern die Eidgenössische Fremdenpolizei eingerichtet. Sie soll die Einreise und die Niederlassung der Ausländer(-innen) kontrollieren. 1921 wird sie sogar damit beauftragt, die «Überfremdung» der Schweiz zu verhindern. Von nun an müssen Menschen mit ausländischem Pass eine Arbeitsbewilligung haben, bevor sie sich niederlassen, also hier wohnen dürfen.

Das Bild zeigt Heinrich Rothmund (1888-1961). Er ist bis 1929 der Leiter der Fremdenpolizei und bis 1954 Leiter der Polizeiabteilung des Justiz- und Polizeidepartements. Er prägte die Schweizer Migrationspolitik bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Er verantwortete auch die bereits damals umstrittene Asylpolitik vor und während des zweiten Weltkrieges zu einem grossen Teil, er wusste sich aber immer vom Bundesrat und vor allem vom zuständigen Departementsvorsteher Eduard von Steiger getragen.

Quelle: Keystone/Photopress-Archive/H.
Siehe auch: Historisches Lexikon der Schweiz

1918: Der Landesstreik wird abgewürgt - und wirkt trotzdem

In den vier Jahren des Ersten Weltkrieges werden die Arbeiter und Arbeiterinnen immer ärmer. Die Preise verdoppeln sich während der Kriegsjahre, die Löhne der Arbeiterschaft bleiben aber gleich. Nur ein Teil der Unternehmen – vor allem die Waffenindustrie – sowie die Bauernbetriebe können vom Krieg profitieren, weil sie ihre knappen Güter gut verkaufen können. 

Viele aus dem Ausland Zugewanderte verlieren in dieser Zeit ihre Arbeit und gehen deshalb zurück in ihre Heimatländer. 1918 lebt ein Sechstel der Schweizer Bevölkerung in Armut.

Landesstreik

Aufgrund dieser schlimmen Situation stellt die Arbeiterschaft Forderungen an die Schweizer Regierung. Der Bundesrat antwortet hierauf jedoch mit militärischen Drohungen.

Daraufhin beginnt die Arbeiterschaft im ganzen Land ihre Arbeit niederzulegen und zu streiken. Der grosse Streik von 1918 wird deshalb Landesstreik genannt. 

Nach drei Tagen ist der Streik beendet: Die Demonstranten werden sogar von der Schweizer Armee beschossen und müssen sich ergeben. Trotzdem haben sie mit ihrem Streik Veränderungen bewirkt. Das Wahlrecht wird so geändert, dass auch die Vertreter der Arbeiterschaft in den Nationalrat gewählt werden können. Auch wird die 48-Stundenwoche eingeführt und Arbeitsverträge werden einheitlicher. Zudem werden die Altersvorsorge und die Arbeitslosenfürsorge ausgebaut. 

Der Schutz vor den Risiken des Arbeitslebens gilt allerdings nur für Schweizer Arbeitskräfte. Für Unternehmen ist es nach dem Krieg deshalb billiger, ausländische Arbeitskräfte einzustellen. Wegen der schlechten Wirtschaftslage kommen allerdings nicht mehr viele in die Schweiz.

Auf dem Foto sieht man Streikende und die Kavallerie auf dem Paradeplatz in Zürich.

Quelle: Wikimedia Commons 

1919: «Klauen weg! Die Schweiz den Schweizern»

Mit dem Ersten Weltkrieg und der darauf folgenden schlechten Wirtschaftslage verändert sich die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber von Ausländern. Obwohl die Zahl der Ausländer mit dem Krieg zurückgeht, wird in der Schweiz die Angst vor einer «Überfremdung» des Landes geschürt. Dieses Wahlplakat von 1919 zeigt einen wehrhaften Eidgenossen, der gegen ein Ungeheuer kämpft, das sein Land bedroht. «Klauen weg! – Die Schweiz den Schweizern» heisst der Kampfruf gegen die «Überfremdung». 

Quelle: Graphische Sammlung, Schweizerische Nationalbibliothek Bern

1925: Landesweite Ausländerpolitik gegen die «Überfremdungsgefahr»

1925 stimmen die Schweizer in einer Abstimmung einem neuen Artikel der Bundesverfassung zu. Neu soll der Bund die Ein- und Ausreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern mit Gesetzen regeln. Fortan sollen Ausländer nur noch in die Schweiz kommen dürfen, wenn dies der Schweizer Wirtschaft nützt und wenn sie nicht zur «Überfremdung» beitragen. Beim Entscheid wird auch die Religion der Ausländer und deren Herkunft berücksichtigt. So dürfen Leute aus dem Balkan oder Juden aus Osteuropa kaum mehr in der Schweiz arbeiten. 

In dem 1934 erlassenen Gesetz regelt der Bund aber nicht nur die Einreise ins Land. Es bestimmt auch über die Rechte der Ausländer(-innen) und darüber, wie sie sich im Land bewegen dürfen. 

Die Ausländer werden jetzt in drei Gruppen eingeteilt.
1. Solche, die für eine Saison bleiben dürfen, also bis zu 9 Monate. Sie werden Saisonniers genannt.
2. jene, die bis zu einem Jahr bleiben dürfen.
3. jene mit der sogenannten Niederlassungsbewilligung C, die für immer bleiben dürfen. 

Dieses Bundesgesetz galt ab dem Jahr 1934. Es prägte die Ausländerpolitik der Schweiz bis ins Jahr 2008.

1929: Arbeitslose Ausländer müssen das Land verlassen

Zwischen 1914 und 1939 entwickelt sich die Schweizer Wirtschaft nur wenig und Arbeitskräfte werden nicht mehr so sehr gebraucht wie vor dem Ersten Weltkrieg. 

Vor allem zwischen 1929 und 1932 bekommt die Schweizer Wirtschaft die Weltwirtschaftskrise (auch Grosse Depression genannt) zu spüren. Hauptsächlich die Bauern und die Exportbranche sind davon betroffen. Die Exportbranche sind die Unternehmen, die Waren ins Ausland verkaufen. 

Diese Wirtschaftskrise erhöht die Arbeitslosigkeit massiv. Es braucht deshalb auch keine neuen Arbeitskräfte aus dem Ausland. Und die Ausländer, die arbeitslos werden, müssen die Schweiz verlassen. 

Erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges geht es der Schweizer Wirtschaft langsam wieder besser. Jetzt werden auch wieder vermehrt ausländische Arbeitskräfte gebraucht.

1930: Entwicklung der Immigration bis 1945

Nach dem Ersten Weltkrieg werden die Einreise und der Aufenthalt von Ausländern strenger kontrolliert und eingeschränkt. Darum versiegt die Einwanderung zwischen dem ersten und dem Zweiten Weltkrieg fast vollständig. 

Zu dieser Zeit wandern auch sehr viele Menschen in ihr Land zurück oder in ein anderes Land aus. Die Zahl der Ausländer in der Schweiz nimmt ab, zwischen 1910 und 1920 um 110'000 Menschen, zwischen 1930 und 1941 ingesamt um weitere -56'000 Menschen. 

Während also 1910 noch 14,7% der Schweizer Bevölkerung einen ausländischen Pass haben, sind es 1920 noch 10,4% und 1930 gar nur noch 8,8%. 1941 (während des Zweiten Weltkrieges) sinkt der Anteil auf nunmehr 5,2%.

1934: Drei verschiedene Aufenthaltsbewilligungen

Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges wandelt sich die Schweizer Einwanderungspolitik von einem liberalen zu einem restriktiven Regime. Das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) von 1934 teilt die Ausländer in drei Kategorien ein: Es gibt die Saisonniers, welche einen Ausländerausweis A bekommen und somit maximal neun Monate in der Schweiz bleiben können, die Jahresaufenthalter mit dem Ausländerausweis B und Personen, welche sich dank des Ausländerausweises C definitiv in der Schweiz niederlassen dürfen. 

Quelle: Keystone/Gaetan Bally

1938: Jüdische Flüchtlinge in der Schweiz nicht erwünscht

In den 1930er Jahren geht es den Ländern Europas wirtschaftlich schlecht. Die Schweiz ist zudem umringt von faschistischen Staaten wie Deutschland, Italien und später auch Österreich und dem von Deutschland besetzten Frankreich. Diese Staaten werden von Diktatoren geführt, die Andersdenkende verfolgen und die ihre Staatsgewalt besonders mithilfe der Geheimdienste, des Militärs und der Polizei gewaltsam durchsetzen. In den faschistischen oder nationalsozialistischen Staaten werden zu dieser Zeit besonders auch die Juden verfolgt und ermordet. 

Wegen der Wirtschaftskrise und aus Angst vor den faschistischen Staaten entscheidet der Bundesrat, jüdische Flüchtlinge nicht als politische Flüchtlinge zu behandeln. Sie haben deshalb kein Anrecht auf Schutz und Asyl. Die Schweiz erlaubt den jüdischen Flüchtlingen also nicht, in der Schweiz zu leben. Sie dürfen lediglich für kurze Zeit in die Schweiz kommen, um dann aber in andere Länder weiterzureisen.

Ab 1938 wird die Judenverfolgung in Deutschland und Österreich immer schlimmer. Viele jüdische Flüchtlinge suchen in der Schweiz Schutz. Nun verlangt jedoch die Schweiz von Deutschland Wege, diesen Zustrom von jüdischen Flüchtlingen stärker zu kontrollieren. Ab dem 5. Oktober 1938 kennzeichnet das deutsche Nazi-Regime alle deutschen und österreichischen Pässe von Juden mit einem Stempel mit einem roten «J». Auf diese Weise können die Schweizer Zollbeamten gleich erkennen, wer ein jüdischer Flüchtling ist, und können entscheiden, diesen nicht in die Schweiz einreisen zu lassen.

So werden an der Schweizer Grenze viele jüdische Flüchtlinge abgewiesen. Viele von ihnen sterben später in einem Vernichtungslager der Nationalsozialisten («Konzentrationslager» oder «KZ» genannt). Manche kommen aber auch heimlich über die Grenze und werden von Schweizern versorgt und versteckt – und so gerettet.

1939: Zweiter Weltkrieg: «Das Boot ist voll»

Am 1. September 1939 bricht der Zweite Weltkrieg aus, der bald noch schrecklicher als er Erste wird. Der Zweite Weltkrieg wird von den sogenannten «Achsenmächten» Deutschland, Italien und Japan, gegen die «Alliierten» USA, Grossbritannien, Frankreich und die Sowjetunion, geführt. 6 Jahre später ist halb Europa zerstört, Deutschland und Italien sind besiegt, und am 2. September 1945 gibt auch Japan auf, nachdem die USA mit zwei Atombomben die Städte Hiroshima und Nagasaki zerstört und unzählige Menschen so getötet hatten. 

Die Schweiz bleibt während des Zweiten Weltkrieges neutral. Sie will weder den Alliierten angehören, noch den Achsenmächten. Dennoch schliesst sie ihre Grenzen, was dazu führt, dass fast niemand mehr einwandert. Bundesrat Eduard von Steiger begründet die harte Haltung gegenüber von Flüchtlingen, insbesondere Juden, mit der Aussage "Das Boot ist voll!"

Während des Krieges kommen fast nur geflohene Kriegsgefangene, geflohene Soldaten oder zivile Flüchtlinge in die Schweiz. Einige Flüchtlinge werden aufgenommen, für andere wird eine Weiterreise in ein anderes Land organisiert, zum Beispiel nach Australien oder Argentinien. Viele werden aber auch an der Grenze zurückgewiesen und so in ihr Herkunftsland und in den sicheren Tod zurückgeschickt. 

1942: Wandel der Bewegungsfreiheit im 20. Jahrhundert

Der in Wien geborene Schriftsteller Stefan Zweig hat in seiner 1942 erschienenen Autobiographie „Die Welt von gestern“ die Einschränkung der Bewegungsfreiheit im 20. Jahrhundert so beschrieben: «In der Tat: nichts vielleicht macht den ungeheuren Rückfall sinnlicher, in den die Welt seit dem ersten Weltkrieg geraten ist, als die Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit des Menschen und die Verminderung seiner Freiheitsrechte. Vor 1914 hatte die Erde allen Menschen gehört. Jeder ging, wohin er wollte und blieb, solange er wollte. Es gab keine Erlaubnisse, keine Verstattungen, und ich ergötze mich immer wieder neu an dem Staunen junger Menschen, sobald ich ihnen erzähle, dass ich vor 1914 nach Indien und Amerika reiste, ohne einen Pass zu besitzen oder überhaupt je gesehen zu haben. Man stieg ein und stieg aus, ohne zu fragen und gefragt zu werden, man hatte nicht ein einziges von den hundert Papieren auszufüllen, die heute abgefordert werden. Es gab keine Permits, keine Visen, keine Belästigungen; dieselben Grenzen, die heute von Zollbeamten, Polizei, Gendarmerieposten dank des pathologischen Misstrauens aller gegen alle in einen Drahtverhau verwandelt sind, bedeuten nichts als symbolische Linien, die man ebenso sorglos überschritt wie den Meridian in Greenwich.»

1945: Jetzt öffnet sich die Schweizer Grenze für Flüchtlinge

Am Ende des Zweiten Weltkrieges fliehen viele tausend Menschen in die Schweiz. Dabei kommen vor allem viele KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter. Das Bild zeigt die Ankunft in St. Margarethen einer solchen Flüchtlingsgruppe im Frühling 1945. 

Quelle: Keystone/Photopress-Archiv/DM